26.7.2004 Montag
Um 5.30 Uhr wurde ich
wach, weil jemand auf die Terrasse stieg und zum Fenster herein
schaute. Ein freundlicher Herr um die 40 fragte mich, ob ich noch
einen Schlafsack brauchen könnte. Er hätte einen, den er nicht mehr
benötigte und deutete dabei auf das Bündel, das er in der Hand hielt.
Ich lehnte dankend ab, Schlafsäcke waren genügend an Bord. Außerdem
war es erst halb sechs. Also was manchen Leuten so einfiel...
Ich steige doch auch
nicht bei Fremden in aller Früh auf die Terrasse, klopfe ans
Schlafzimmerfenster und biete ihnen ein Kopfkissen an.
Ich beschloss, an der
Veranda zwei Schilder anzubringen: „Betreten verboten“ und „Achtung
bissiger Hund“.
Ein Hund war die ganze
letzte Woche tatsächlich an Bord, wenn auch kein beißender, sondern
ein bellender. Er gehörte meinem Freund Robert, der gerade eine Woche
zu Besuch war. Er ist von Beruf Schreiner, das traf sich ganz gut, wir
hatten zusammen eine Veranda gebaut und an das Boot geschraubt. Schon
hatten wir sechs Quadratmeter mehr Wohnfläche und einen Platz zum
Grillen. Das war sehr praktisch, grillen an Land ist in Berlin
meistens verboten. Die Veranda war nicht besonders kompliziert: Vier
Schwimmer, ein Bretterboden darüber, Eckpfosten, Geländer und eine
Plane drauf. Gleichzeit auch Platz für Besucher, um darauf auf einer
Luftmatratze zu nächtigen.
Natürlich lief der Bau
nicht ganz ohne Komplikationen ab. Kaum hatten wir die Veranda
provisorisch festgemacht und den Grill in Gang gesetzt, zog ein
Gewitter auf. Es stellte sich bald heraus, dass es das schlimmste
Unwetter der Saison werden sollte. Blitze hautnah, Blitze über Blitze,
unglaubliche Regenfälle – und wir hatten noch kein Dach. Provisorisch
bastelten wir einen Regenschutz aus der Plane und ein paar Stangen,
während das Fleisch auf dem Grill zu verkohlen anfing und das Gewitter
um uns herum tobte. Die spontane Lattenkonstruktion war allerdings
nicht sehr stabil und krachte mehrmals zusammen. Unser armer Wachhund
war völlig verstört und stand wie festgefroren unter der Plane und
hielt seinen Kopf in die Kabine des Bootes. Nach einer Stunde war der
Spuk vorbei und wir suchten in den verkohlten Fleischstücken nach
Essbarem.
Am nächsten Tag bauten
wir erstmal ein etwas stabileres Dach, um uns beim nächsten Gewitter
mehr auf den Grill konzentrieren zu können.
Abends stand plötzlich
ein sichtlich betrunkener, schwarz gekleideter, dicker Typ um die 60
mit Springerstiefeln vor dem Boot und behauptete, uns kontrollieren zu
müssen. Er käme von der NSDAP und müsse checken, ob hier alles mit
rechten Dingen zugehe. Wir luden ihn auf die Terrasse ein und hörten
uns eine Stunde lang seine nationalsozialistischen Sprüche an, bevor
wir ihn mit dem deutschen Gruß nach Hause schickten. Das war wohl ein
Fehler, am nächsten Morgen um zehn stand er schon wieder mit ein paar
Büchsen Bier vor dem Boot und meinte, wir seien jetzt seine Freunde.
Das wollten wir nun wirklich nicht sein. Stolz deutete er auf seine
ausgebeulte Hosentasche und erklärte, er hätte jetzt seine Pistole
dabei, damit wir uns besser verteidigen könnten. Den Kerl mussten wir
so schnell wie möglich wieder loswerden, bloß wie? Robert war da
nicht der richtige Mann für, er ist einfach zu lieb, und ich
beschloss, Herrn Nazi mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Es half,
dass ich ein paar Tage vorher gerade einen Film über Goebbels gesehen
hatte und im besten Befehlston motzte ich ihn an:
„Spinnst du eigentlich?
Was machst du denn hier? Du bist doch eine Schande für die ganze
Bewegung! Was hat der Führer gesagt? Wie sollen wir sein? Zäh wie
Leder, hart wie Kruppstahl, flink wie ein Windhund! Hat der Führer
irgendetwas davon gesagt, dass wir um zehn in der Früh schon betrunken
sein sollen?“
„Ich bin nicht betrunken,
höchstens angetrunken.“
„Hat der Führer überhaupt
gesagt, dass wir Alkohol trinken sollen? Der Führer hat um diese
Uhrzeit höchstens Kamillentee getrunken, Alkohol nie. Geraucht hat er
auch nicht. Also mach gefälligst deine Zigarette aus.“
Gehorsam ließ Herr Nazi
seine Kippe auf den Boden fallen.
„Und hat der Führer
verlangt, dass wir so fett werden wie du? Du bist doch eine einzige
Schande für die Bewegung“, wiederholte ich. „Du hast höchstens die
Gnade der späten Geburt, damals wärst du unter „unwertes Leben“
gefallen. Was du hier mit deiner Sauferei machst ist Verrat an allen
unseren Kameraden. Und jetzt lass uns bitte in Ruhe, wir sind
ordentliche deutsche Arbeiter und wollen mit dir nichts zu tun haben.
Du bist höchstens ein ordentlicher deutscher Säufer. Eine Schande für
die Partei.“
Wie ein geprügelter Hund
schlich Herr Nazi davon. War wohl sichtlich beeindruckt von meiner
Predigt. Robert bewunderte mich anschließend. Das hätte er nie fertig
gebracht. Ich machte erstmal eine Flasche Ouzo auf. Ordentliche
deutsche Säufer konnten wir auch sein. Musste Herr Nazi ja nicht
wissen. Wir hatten ja schließlich nicht dem Führer nachzueifern,
sondern hatten die Gnade einer viel viel späteren Geburt.
Aber ich war doch leicht
erschrocken über meine Ansprache. Mit diesem Ton hätte ich es im
dritten Reich wohl ziemlich weit gebracht. Hätte bestimmt Blockwart
werden können. Eine schaurige Vorstellung.
Zum Glück wirkte der Ouzo
bald, lenkte mich von solchen Gedanken ab und ließ mich den Grill
anwerfen. Er bewährte sich bestens und es gab Butterkartoffeln. Auf
dem Land grillen ist in Deutschland ja ziemlich oft verboten und wir
hatten auch schon Besuch vom örtlichen Parkwächter gehabt, der uns
dahingehend ermahnte. Aber gegen grillen an Bord war er machtlos, das
ging ihn nichts an, auch wenn „an Bord“ bloß einen halben Meter vom
Ufer entfernt war. Für das Leben auf dem Wasser war er nicht
zuständig.
nächstes
Kapitel >>>