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15.6.2004 Dienstag

Heute wurde gesägt. Als wir gestern das Gestell mit den Solarzellen auf das Dach montieren wollten, wären wir fast mit dem Boot umgekippt und begriffen sehr schnell, dass der Schwerpunkt eines Bootes eher unten als oben liegen sollte. Ich beschloss, die Kabine in Höhe der Oberlichter abzusägen und das Dach tiefer zu legen. Der dazu nötige Fuchsschwanz lag aber leider noch in der Kreuzberger Baustelle. Ein freundlicher Angler versprach mir, auf das Boot aufzupassen und ich machte mich auf den Weg zur S-Bahn. Ein komisches Gefühl, nach so einer Nacht in der Natur und in Campingstimmung schon nach drei Minuten Fußmarsch wieder im Großstadtgetriebe zu sein. Es wurde ein harter Tag. Sägen, sägen, sägen. Ich hatte schon Angst vor dem Muskelkater am nächsten Tag. Aber es gab auch Erfreuliches: Die Passanten.

„Ui sieht das toll aus.“

„Watn dat? Dat is ja super“.

Nur positive Kommentare, ungefähr 30 Stück.

Eine Horde Kinder auf Wandertag wollte sofort mit dem Drachenboot spazieren fahren und es war nicht leicht, ihnen das auszureden.

Nach vielen Stunden sägen hatte die Kabine eine mehr Vertrauen erweckende Höhe und das Boot lag auch viel ruhiger im Wasser wenn man drauf herum stieg. Es ist doch gut, wenn der Schwerpunkt so weit unten wie möglich liegt. Das änderte sich aber sofort, als ich das Rahmenungetüm mit den Solarzellen montierte. Der Kahn schwankte wie vorher. Da würde man sich noch eine elegantere Lösung einfallen lassen müssen. Anschließend war Abdichten mit Silikon angesagt. Neben Tee und Stullen war auch eine Silikonpumpe in Karins Tüte gewesen, mit der ich aber nicht klar kam. Ich pumpte und pumpte, aber weit und breit kein Silikon. Verzweifelt gab ich auf.

Der Wetterbericht hatte für die nächsten Tage jede Menge Regen angekündigt und die Kabine musste unbedingt dicht werden. Das Abdecken mit Plane war bei den herrschenden Windverhältnissen nicht recht zuverlässig. Am Nachmittag hatte es einen kräftigen Schauer gegeben und ich musste zwei Eimer Wasser vom Bootsboden aufwischen. Und jetzt saß ich hier wie ein Trottel, unfähig, eine Silikonpumpe zu bedienen. Karin war auf der Suche nach einem Liegeplatz und dabei an einen freundlichen Vereinsvorstand geraten, der ihr erklärte, dass unser momentaner Platz viel zu gefährlich sei und sie war schwer beunruhigt – das Jugendschiff mit dem hohen Ausländeranteil in der Nachbarschaft sei schon sehr suspekt. Ich teilte ihre Meinung nicht so recht. Klar gibt es kriminelle Jugendliche, das Hauptverbrechen das die Berliner Kids begehen ist, alles mit Graffitis vollzumalen, aber die hatten wir sowieso schon. Dass türkische Kinder nachts Hausboote überfallen, davon hatte ich noch nie etwas gehört. Immerhin wohnte ich seit drei Jahren in Kreuzberg, nach Einwohnerzahl die viertgrößte türkische Stadt und mir war noch nie etwas passiert. Einmal flog um zwei Uhr nachts ein Stein durchs Fenster, aber das müssen ja nicht zwangsläufig Türken gewesen sein. Eher deutsche Kids, die schon mal für die traditionelle Randale am ersten Mai probten.

Zehn Euro für eine Woche Liegeplatz wollte der nette Herr vom Verein haben und Karin bot ihm zusätzlich noch eine kleine Spende für die Kaffekasse an. Den Schlüssel für die Bootsbox müsste sie aber beim Kassier in Friedrichshain abholen. Sie radelte hin, der Typ war total unfreundlich und schickte sie ohne Schlüssel wieder nach Hause. Total sauer kam sie beim Boot an, stellte fest, dass nicht ich blöd, sondern die Silikonpumpe kaputt war, zerschnitt die Tüte mit dem Fuchsschwanz und verfugte das Boot mit einer Spachtel. Nicht schön, aber hoffentlich dicht. Bis kurz vor Mitternacht dauerte die Aktion. Sie spachtelte, ich leuchtete mit der Taschenlampe. Endlich fertig, nun konnte der große Regen kommen. Karin wollte das Boot alleine lassen und wegen der gefährlichen Jugendlichen lieber zuhause schlafen, aber da war ich voll dagegen und beschloss, Nachtwache zu halten. Hatte ja ein Handy dabei, eine Dose Pfefferspray und einen Bootshaken, mit dem man zur Not auch zuschlagen konnte. Viel mehr Angst hatte ich vor dem Sturm. Am Nachmittag erst hatte er einen Ast vom Baum gebrochen und drei Meter neben das Boot knallen lassen.

Ich ging zu Bett und beobachtete sorgenvoll die hohen Bäume mit ihren vielen dicken Ästen, die drohend über das Boot ragten. Der Wind wurde immer stärker und übertönte bald schon das S-Bahn-Gepolter vom Ostkreuz. Das konnte eine Nacht werden. Ich bereitete mich auf den Tod vor.

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Die Quelle aller Gefahren: Das Jugendschiff
 

Das Oberteil der Kabine ist schon abgesägt
 

 

Die Bucht, die für die nächsten zwei Wochen meine Heimat sein sollte
 

Der Rummelsburger See