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Montag, 14.6.2004 

Heute wurde das Boot zu Wasser gelassen.
Der Plan war: Mit dem Wagenheber aufbocken, auf Ziegelsteine stellen, Anhänger darunter schieben, ab an den See und mit dem Hänger rückwärts ins Wasser bis das Boot schwimmt. Dann den Hänger an dem vorher daran befestigtem Seil wieder rausziehen.

Mit Hilfe eines Profi-Wagenhebers von der benachbarten Autowerkstatt war das Aufbocken schnell erledigt. Ziegelstein um Ziegelstein wurde das Boot hochgehoben und stand nach einer knappen Stunde auf vier Ziegelsäulen und zwei Baubrettern. Schnell war der Hänger darunter geschoben und schon ging es auf die fünf Kilometer lange Reise zum Rummelsburger See. Theoretisch. Praktisch verzögerte sich alles ein wenig, weil wir zum Abmachen der Hängerseitenwände einen 13er-Schraubenschlüssel brauchten. Hatte natürlich kein Mensch dabei. Sogar in den Handtaschen der Freundinnen, in denen normalerweise alles ist, gab es kein entsprechendes Werkzeug. Marian, der polnische Inhaber der Werkstatt half uns aus dieser Notlage und bald zuckelten wir mit Tempo 30 von Kreuzberg nach Rummelsburg.

 

Eigentlich sollte das Boot ja zu einer Werft und dort ordentlich per Kran oder Slipanlage ins Wasser gebracht werden. Aber ein paar Tage zuvor hatte der Werftmeister gemeint, er könne das nicht machen. Bei unserem ersten Besuch im März hieß es noch: „Kein Problem. Jetzt baut erst mal das Boot fertig und dann kommt ihr wieder.“ Jetzt hatten wir ein halbwegs fertiges Boot und wussten nicht wie und wo wir es ins Wasser lassen sollten.

„Wozu Kran?“ meinte mein Freund Detlef. „Da fahren wir mit dem Hänger rückwärts ins Wasser bis das Boot schwimmt. Wird der Hänger halt nass, aber das würde er bei Regen auf der Autobahn auch werden. Der trocknet schon wieder.“ Detlef kommt aus Brandenburg, war 20 Jahre lang Fernfahrer und verfügt über jede Menge DDR-Improvisationstalent. „Ihr müsst bloß eine Stelle suchen, wo es flach reingeht und ich mit dem Hänger hin kann.“

Das machten meine Freundin Karin und ich dann auch. Bei einem Spaziergang am Rummelsburger See, einem Ausläufer der Spree mitten in Berlin, wurden wir fündig. Es gab dort eine Slipanlage des örtlichen Bootsvereins, dessen Vorstand wir allerdings nie telefonisch erreichten und der uns auch nie zurückrief, trotz aller Ansagen auf seinem Anrufbeantworter. Egal, es liefen zwei Schienen über den Weg und ins flache Wasser. Über diese Schienen würden wir Bretter legen und den Hänger darauf in den See rollen lassen. Der Weg bis dahin war auch ganz ok, wenn es auch ein Fußgängerweg war, für Autos verboten. Dieses Problem löste sich aber bald von selber, als wir eine Feuerwehrzufahrt entdeckten, die von der örtlichen Hauptstraße genau über diesen Weg zu einer Art Jugendzentrum auf einem Schiff führte. Dort hatte jemand vergessen, ein Schild aufzustellen, das den Uferweg als Fußgängerweg kennzeichnete. Wenn man aus dieser Richtung kam konnte man also nicht wissen, dass Auto fahren hier nicht erlaubt war. Das Jugendschiff ist ein vom Berliner Senat für vier Millionen Euro gebautes schwimmendes Jugendzentrum, das jetzt von einem Verein betrieben wird, seitdem Berlin pleite ist. Es gibt dort einen Gemeinschaftsfernsehraum, eine kleine Gaststätte, viele leere Räume und einen Sportplatz, auf dem meistens Kids ausländischer Herkunft Volleyball spielen. Wenn dann jemand den Korb trifft, freuen sie sich eben auf türkisch, arabisch oder sonstwas. Auf jeden Fall enthusiastisch und laut. Was für manchen Deutschen – der noch nie in einem deutschen Fußballstadion war – ganz schön gefährlich klingt. Jeden Freitag Abend gibt es auf dem Schiff eine Techno-Party. Bumm-Tsch-Bumm-Tsch-Bumm-Tsch- Bumm-Tsch-Bumm-Tsch-Bumm-Tsch...

Das Rangieren am See bewerkstelligte Detlef hervorragend, bald stand der Hänger rückwärts vor den ausgelegten Brettern und der große Moment nahte.

Zur Sicherheit sangen wir noch schnell „We all live in a yellow submarine“ und dann ließ unser Profi-Fernfahrer den Hänger rollen, so weit er sich traute. Den Rest ruckelten wir das Boot ins Wasser und schauten dann etwas ungläubig: Es gab einen Plumps und das Ding schwamm tatsächlich.

Sofort wechselten wir von „Yellow submarine“ zu „Auf den sieben Meeren fahren wir“, tapfer stiegen Bodo und ich in das Boot und warfen den Motor an. Leider hing die Schraube bloß halb im Wasser (ich hatte die Wasserlinie selber berechnet) und spritzte alles voll. Vor allem Bodos Hintern, aber der blieb tapfer in seiner Position.

Geradeaus rückwärts fahren klappte ganz gut. Anstatt die 200 Meter entfernt stehenden Kabinenteile zum Boot zu schleppen, wollten wir das Boot zu den Teilen fahren. Nicht so einfach wie geplant, man musste sich erst an die Reaktionsträgheit gewöhnen und wir kurvten die Strecke zur Bucht als hätten wir mindestens 3 Promille im Blut. Aber irgendwie kamen wir heil an und die Kumpels zogen uns mit den Leinen an die richtige Position.

An drei Bohrankern festgemacht lag das Boot sicher am Nordufer der Rummelsburger Bucht und ich brauchte erst einmal ein Bier. Und gleich noch eins, bis sich die Aufregung gelegt hatte. War schließlich jede Menge Lampenfieber, das Unternehmen hätte ja auch das Desaster meines Lebens werden können.

Bodo prüfte das Boot auf Dichtigkeit und verkündete, dass alles bestens wäre. Die zwei Millimeter Wasserfilm auf dem Boden seien ganz normal, das wäre bei allen neuen Holzbooten so, bis sich die Poren vollgesogen hätten und alles dicht sei. Ich war etwas beunruhigt, denn das Boot hatte keine Fugen aus Holz sondern war außen mit Epoxidharz vollgekleistert, durch das eigentlich kein Wasser ins Innere kommen sollte. Gespannt warteten wir, ob der Wasserspiegel auf dem Boden stieg, aber er tat es nicht. Später stellten wir fest, dass es sich bloß um das Spritzwasser vom unsachgemäß montierten Motor gehandelt hatte und der Rumpf bombendicht war. Erleichterung.

Meine Freunde halfen noch beim Aufbauen der Kabine und besorgten eine Flasche Sekt bevor sie sich verabschiedeten. Gut dass man solche Freunde hat.

Karin bereitete das Boot für die erste Übernachtung vor. Ich wollte es nicht alleine lassen, also installierte sie Lattenrost, Matratze und Bett, während ich mich mit ein paar Flaschen Bier weiter beruhigte. Karin beschloss, aus Solidarität auch mit an Bord zu schlafen, sie käme sich sonst vor wie eine Verräterin. Bald darauf lagen wir mit fest verschlossenen Fenstern und gekippten Oberlichtern im Bett. Gemütlich, aber auch aufregend. Würden wir die Nacht überleben? Würde das Boot sinken? Würden uns die ausländischen Kids aus dem benachbarten Jugendschiff überfallen? Sind irgendwelche Mörder unterwegs?

Karin ließ im Bett ihre Hose an, um notfalls schnell weglaufen zu können. Ich war beeindruckt von dieser weiblichen Unlogik. Wohin wollte sie denn laufen vom Boot aus? Doch höchstens dem Mörder am Ufer direkt in die Arme. Ich beschloss, eventuelle Angreifer ins Wasser zu werfen und zog mich aus. Beim Kampf im Wasser ist zuviel Kleidung eher hinderlich.

Aber kein Mensch dachte daran, uns anzugreifen, obwohl ich die ganze Nacht wach blieb um mir die neuen, unvertrauten Geräusche des Schlafplatzes anzuhören. Es ist immer gut, wenn man sich in einer neuen Umgebung anhört, was normal klingt und was nicht. So kann das Unterbewusstsein besser auf Ausnahmesituationen reagieren. Auf das Quaken eines Frosches zum Beispiel. Das gab es in meiner Kreuzberger Wohnung nicht und bedeutete erst einmal Gefahr. Die Kombination aus Windrauschen und S-Bahn-Geklapper dagegen kannte ich schon, das war harmlos.

Um fünf weckte ich Karin, die zur Arbeit musste und schlief dann auch ein paar Stunden. Als ich um neun wach wurde stand eine mir unbekannte Plastiktüte auf dem Deck. Neugierig inspizierte ich den Inhalt: Einige Stullen und eine Thermoskanne mit Tee. Konnte nur Karin gewesen sein, die mir das vor Arbeitsbeginn noch schnell hingestellt hatte. Lieb von ihr.

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Abholbereit steht der Rumpf in einem
Kreuzberger Hinterhof
 

Wirklich gute Freunde haben stets einen
passenden Hänger für Bootstransporte
 

Ab nach Rummelsburg

 

"Hier soll es rein? Gibts nicht eine
bessere Stelle?"
 

Rückwärts mit dem Hänger in den See
 

Wat nu? Es schwimmt !!!
 

Die allererste Fahrt
 

Noch schnell die Kabine für die Nacht
aufbauen