23.6.2004 Mittwoch
Zwei Tage nach
Sommeranfang herrschte das, was man normalerweise einen ausgewachsenen
Herbststurm nennen würde, während sie gleichzeitig im Radio
verkündeten, dass es sommerlich schön und warm sei. Das Studio der
Sprecherin scheint keine Fenster zu haben, ein Blick nach draußen
hätte sie eines Besseren belehrt.
Da ich jetzt wusste, dass
die Polizei nichts dagegen hatte, wenn ich hier lag, ließ ich das Boot
mit etwas ruhigerem Gewissen alleine und radelte für ein paar Stunden
in meine Wohnung, Briefkasten ausleeren und so.
Der Aufenthalt in
Rummelsburg näherte sich allmählich seinem Ende. Ich sägte die
übriggebliebenen Holzteile in handliche Stücke und verpackte sie in
Müllsäcke. Die würde ich mitnehmen zu meiner ersten Station:
Kreuzberg-Urbanhafen. In meinem Haus wohnte auch eine alte Frau mit
Ofenheizung, die konnte das Holz sicher gut gebrauchen. Wie lange
genau ich noch hier bleiben würde hing natürlich auch vom Wetter ab,
die erste große Fahrt wollte ich nicht unbedingt bei Wind und Regen
machen. Aber ich übte schon einmal und gondelte bei Wind und Regen
etwas auf dem See herum.
Der Wind warf das Boot zwar immer noch nicht
um, aber er griff an der Kabine an und drehte es durch die Gegend. Man musste schon kräftig gegenlenken, um das auszugleichen. Das Problem
war, dass der Wind nicht gleichmäßig wehte. Wenn er während des
Gegenlenkens kurz schwächer wurde, landete man schnell in der falschen
Richtung. Kurs Schlangenlinie, für die Zuschauer am Ufer sah es wohl
aus als hätte ich drei Promille im Blut.
Die Fischer am
Rummelsburger See sind hauptsächlich illegale Ausländer und deutsche
Sozialhilfeempfänger, die versuchen, ihren leeren Kühlschrank mit
Frischfisch aufzufüllen. Aber sehr viel Erfolg scheinen sie nicht zu
haben. In den zehn Tagen, die ich jetzt hier lag, hatte ich noch
keinen größeren Fang beobachtet. Dabei waren sie alle hinter einem
großen Hecht her, der hier angeblich herumschwimmen sollte. Einer der
Sozialhilfeempfänger klagte mir sein finanzielles Leid und ich lud ihn
auf ein Bier und einige Wurstbrote ein. Kauend erzählte er mir seine
Lebensgeschichte. Aufgewachsen in der DDR, meist in Heimen für schwer
erziehbare Jugendliche, später wohnhaft im Rummelsburger Knast als
Politischer. Nach der Wende war er zur Entgiftung im jüdischen
Krankenhaus. Dort gab es schon um sechs Uhr Frühstück und hinterher
mussten die Patienten „frohlocken“.
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