Schwimmding.de

Erste Praxiserfahrungen

zur Startseite

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

 
 

Das Schwimmding als e-book jetzt bei Amazon


23.6.2004 Mittwoch

Zwei Tage nach Sommeranfang herrschte das, was man normalerweise einen ausgewachsenen Herbststurm nennen würde, während sie gleichzeitig im Radio verkündeten, dass es sommerlich schön und warm sei. Das Studio der Sprecherin scheint keine Fenster zu haben, ein Blick nach draußen hätte sie eines Besseren belehrt.

Da ich jetzt wusste, dass die Polizei nichts dagegen hatte, wenn ich hier lag, ließ ich das Boot mit etwas ruhigerem Gewissen alleine und radelte für ein paar Stunden in meine Wohnung, Briefkasten ausleeren und so.

Der Aufenthalt in Rummelsburg näherte sich allmählich seinem Ende. Ich sägte die übriggebliebenen Holzteile in handliche Stücke und verpackte sie in Müllsäcke. Die würde ich mitnehmen zu meiner ersten Station: Kreuzberg-Urbanhafen. In meinem Haus wohnte auch eine alte Frau mit Ofenheizung, die konnte das Holz sicher gut gebrauchen. Wie lange genau ich noch hier bleiben würde hing natürlich auch vom Wetter ab, die erste große Fahrt wollte ich nicht unbedingt bei Wind und Regen machen. Aber ich übte schon einmal und gondelte bei Wind und Regen etwas auf dem See herum.

Der Wind warf das Boot zwar immer noch nicht um, aber er griff an der Kabine an und drehte es durch die Gegend. Man musste schon kräftig gegenlenken, um das auszugleichen. Das Problem war, dass der Wind nicht gleichmäßig wehte. Wenn er während des Gegenlenkens kurz schwächer wurde, landete man schnell in der falschen Richtung. Kurs Schlangenlinie, für die Zuschauer am Ufer sah es wohl aus als hätte ich drei Promille im Blut.

Die Fischer am Rummelsburger See sind hauptsächlich illegale Ausländer und deutsche Sozialhilfeempfänger, die versuchen, ihren leeren Kühlschrank mit Frischfisch aufzufüllen. Aber sehr viel Erfolg scheinen sie nicht zu haben. In den zehn Tagen, die ich jetzt hier lag, hatte ich noch keinen größeren Fang beobachtet. Dabei waren sie alle hinter einem großen Hecht her, der hier angeblich herumschwimmen sollte. Einer der Sozialhilfeempfänger klagte mir sein finanzielles Leid und ich lud ihn auf ein Bier und einige Wurstbrote ein. Kauend erzählte er mir seine Lebensgeschichte. Aufgewachsen in der DDR, meist in Heimen für schwer erziehbare Jugendliche, später wohnhaft im Rummelsburger Knast als Politischer. Nach der Wende war er zur Entgiftung im jüdischen Krankenhaus. Dort gab es schon um sechs Uhr Frühstück und hinterher mussten die Patienten „frohlocken“.

nächstes Kapitel >>>