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Karneval der Kulturen
Ort:
Kreuzberg, Gneisenaustraße, zwischen Südstern und Blücherplatz
Alles begann im
Jahr 1996 mit dem ersten Karneval der Kulturen, damals noch wenig
„Kultur“, sondern hauptsächlich ein Karneval der brasilianischen
Trommel-Lehrer, die ihre ganzjährig in Berlin stattfindenden
Trommelbefreiungskurse für frustrierte Hausfrauen zu Pfingsten auf
die Straße verlegten, garniert mit knapp bekleideten Sambatänzerinnen. So ein kleiner
Karneval in Rio war das. An den Rändern der Gneisenaustraße in Kreuzberg
lümmelten einige Besucher herum, während auf der Straße LKWs mit
Trommelgruppen an ihnen vorbeifuhren.
Im Lauf der Jahre wurde der Trommelkonvoi dann auch ab und zu von
nicht-brasilianischer Kultur durchdrungen, man sah Stelzenmenschen,
tibetische Götter, Gespenster, Phantasiegestalten.
Um das Jahr 2005
war es wohl am internationalsten, am schönsten und noch relativ
ungezwungen. Ab dann artete der Karneval der Kulturen zu einer
Großveranstaltung für Touristen aus. Barrikaden trennen jetzt die Umzugswägen und die inzwischen hoch durchchoreografierten Trommel-
oder Sonstwas-gruppen
von den Besuchern, die sich dahinter auf den Bürgersteigen
gegenseitig kaputtstehen. Eine Art Formel 1-Rennen zwischen Südstern
und Blücherplatz, aber ganz langsam und bunt. Die brasilianischen
Trommler haben die Oberhand verloren, man sieht jetzt auch
schottische Kilt-Gruppen mit Dudelsäcken, aber auch Gruppen aus
Peru, die einen „Truthuhn-Tanz“ zum Besten geben. Das afrikanische
Kontingent hat erheblich zugenommen und führt ihre Rituale
vor. Allerdings: Die Afrikaner trommeln fast noch besessener als die
Brasilianer. Ewiges Dauergetrommel muss man schon mögen, sonst ist
man als Besucher beim Karneval der Kulturen falsch.
Man muss aber nicht unbedingt am Sonntag hingehen und sich von einer
oder einer halben Million (wetterabhängig) Touris zerquetschen
lassen. An den anderen Tagen herrscht eine eher gemütliche
Straßenfestatmo.
Was man seltsamerweise nicht sieht, sind türkische Teilnehmer,
Kreuzberg ist eine türkische Hochburg in Berlin. Aber die haben wohl
ihren eigenen "Karneval der türkischen Kultur", das ganze Jahr über,
den müssen sie zu Pfingsten nicht extra öffentlich vorführen.
Dauerhöhepunkt des türkischen Karnevals ist wohl der zweimal pro Woche
stattfindende Basar am Maybachufer, nähe Kottbusser Tor.
Das Straßenfest dauert vier Tage, von Pfingstfreitag bis
Pfingstmontag, Höhepunkt ist der Umzug am Sonntag. Eigentlich
beginnt der Karneval schon zwei Tage früher mit dem Aufbau der
ganzen Imbissbuden und Straßensperrungen rund um den Blücherplatz.
Die unschuldigen Berliner Autofahrer versinken in endlosen Staus,
wenn sie sich nach Kreuzberg verirren.
Am Pfingstdienstag ist dann „Tag der BSR“, an dem die Berliner
Stadtreinigung die unglaublichen Müllmengen von den Straßen
wegzaubert.
Inzwischen reduziert sich die Anzahl der teilnehmenden Gruppen
wieder, 2013 waren es 75 Gruppen, 16 weniger als 2012, damals 5
weniger als 2011. Grund sind die nicht unerheblichen Kosten für
Kostüme, Umzugswägen und Anreisekosten. Man sieht jetzt auch schon
mal eine Kleindemo auf der Karnevalsmeile, die für mehr finanzielle
Unterstützung durch die öffentliche Hand demonstriert. Da werden sie
im hochverschuldeten Berlin wohl nicht viel Glück haben. Es ist zu
befürchten, dass man in Zukunft wieder weniger symbolische Tänze aus
Sri Lanka sieht und die sowieso schon in Berlin wohnenden
Brasilianer und Afrikaner mit ihrem Dauergetrommel wieder die
Oberhand zurückgewinnen.
Alle Fotos stammen aus dem Jahr 2006, als es noch etwas gemütlicher
zuging als heute.
© 2013 Robert Adé
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